Die Skulpturen HOFFNUNG - VERTRAUEN – RESPEKT

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Inhalt:

  1. … DAMIT LEBEN GELINGT von Gerhard Roese
  2. Die BEDEUTUNG der Skulpturen von Gerhard Roese
  3. Der AUFTRAG für die Skulpturen von Gerhard Roese
  4. Der HERSTELLUNGPROZESS (mit Fotos) von Gerhard Roese
  5. Der Künstler GERHARD ROESE

Einführung

Die Skulpturen HOFFNUNG, VERTRAUEN und RESPEKT stehen auf dem Gelände von Hoffmannhaus und Flattichhaus in Korntal und vom Hoffmannhaus in Wilhelmsdorf.

Mit ihnen setzen die Evangelische Brüdergemeinde Korntal und ihre Diakonie ein öffentliches Zeichen der Warnung und Wegweisung im Gedenken an die Missbrauchsgeschehen in ihren damaligen Kinderheimen in Korntal und Wilhelmsdorf in den 1950er bis 1980er Jahren, die umfassend aufgearbeitet wurden.

In einem Schuldbekenntnis, das bei der Übergabe der Skulpturen am 25. Juni 2022 öffentlich verlesen wurde, und in einem persönlichen Brief an die ehemaligen Heimkinder von Korntal und Wilhelmsdorf bekennt sich die Evangelische Brüdergemeinde Korntal zu dem Missbrauch und bittet die Betroffenen aufrichtig um Vergebung für das erlittene Leid.

Die drei Skulpturen HOFFNUNG, VERTRAUEN, RESPEKT mit der der goldenen Kugel in ihrer Mitte bilden eine Einheit und verweisen auf das, was unverzichtbar ist und bleibt, damit Leben gelingen kann.

1. … DAMIT LEBEN GELINGT

von Gerhard Roese

Drei Skulpturen: HOFFNUNG. VERTRAUEN. RESPEKT.

Aus Buchstaben vorsichtig aufeinandergestapelt, darin eine goldene Kugel.

Nimmt man sie weg, bricht alles auseinander.

 

HOFFNUNG. VERTRAUEN. RESPEKT.

Sie sind nötig, damit Leben gelingt.

Sie zu schützen ist Auftrag derer, die Verantwortung tragen für andere.

 

Dafür stehen die Skulpturen an drei Standorten der Diakonie:

Für alle Menschen.

An jedem neuen Tag.

 

Text: Gerhard Roese (www.gerhardroese.de)

2. Die BEDEUTUNG der Skulpturen

von Gerhard Roese

HOFFNUNG. VERTRAUEN. RESPEKT. Drei Begriffe.

HOFFNUNG ist der erste und wichtigste.
Ohne Hoffnung ist menschenwürdiges Leben nicht möglich.
Hoffnung lässt uns das Schwerste ertragen, das Schwierigste leisten, unsere Mitmenschen annehmen.
Hoffnung ist das tiefe Vertrauen darein, dass die höchste Macht über unser Schicksal, auf die wir selbst keinen Einfluss haben, uns wohl gesonnen ist.

Die Skulptur HOFFNUNG wurde deshalb vom Schöpfer der drei Kunstwerke Gerhard Roese bewusst als „Jakobsleiter“ gestaltet.
(Die Jakobsleiter verstand man als den Ort, an dem die Engel vom Himmel steigen und von dem aus sie wieder dorthin zurückgehen. Im Mittelalter sagte man, dass dort "KIRCHE" sei, wo die Jakobsleiter die Erde berührt. Unsere individuelle Jakobsleiter ist unsere Hoffnung, die immer übernatürliche Hilfe in Anspruch nimmt.)

VERTRAUEN ist ein Kind der Hoffnung.
Wo Vertrauen herrscht, sind Kooperation, gemeinsamer Erfolg und Glück möglich.
Vertrauen ist etwas, das wir unseren Mitmenschen gegenüber dringend benötigen.
Vertrauen ist etwas, das wir auch zu uns selbst wie in unser Schicksal haben müssen.

RESPEKT ist der kleine Bruder des Vertrauens.
Aus Vertrauen kann Respekt erwachsen, den wir unseren Mitgeschöpfen, der ganzen Welt und uns selbst schulden. Auch Respekt ist eine unverzichtbare Grundvoraussetzung für gelingendes Leben.

Die Skulpturen VERTRAUEN und RESPEKT sind nicht als „Leitern“ gestaltet, da wir uns diese Qualitäten als Menschen untereinander erweisen.

HOFFNUNG, VERTRAUEN und RESPEKT sind zarte Pflänzchen, die allen Menschen mitgegeben sind. Sie zu schützen, zu stärken und zu entwickeln ist Eltern und der gesamten Elterngeneration als Aufgabe gestellt. So erhalten Kinder ein tragfähiges Fundament für ihr späteres Leben.

Die drei Skulpturen bestehen aus Stapeln von Buchstaben, behutsam und scheinbar sehr labil aufgeschichtet, die je einen dieser drei Begriffe ergeben.

In jedem dieser Begriffs-Stapel befindet sich eine kleine goldene Kugel.

Auf den ersten Blick ist klar, was geschieht, wenn man diese Kugel herauszieht:
Der gesamte Buchstabenstapel bricht zusammen:
HOFFNUNG, VERTRAUEN, RESPEKT liegen zerstört am Boden.

Wer sich diese Kugel herausnimmt – die sich niemand herauszunehmen hat – weiß zuvor schon sehr genau, welche Konsequenzen sein Handeln haben wird. Die goldene Kugel – die niemand braucht, aber manch einer begehrt – steht für den vielgestaltigen Übergriff auf Körper und Seele der Kinder.

3. Der AUFTRAG für die Skulpturen

von Gerhard Roese

Die evangelische Brüdergemeinde Korntal und ihre Diakonie wurden in ihrem Aufarbeitungsprozess von Fachleuten beraten und begleitet. Auf diesem Weg entstand der Kontakt zum Künstler und Bildhauer Gerhard Roese.

Der Künstler erinnert sich:

„Als die Brüdergemeinde die Idee entwickelte, ein öffentlich sichtbares Zeichen der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen institutionellen Missbrauchsgeschichte zu setzen, kam man auf mich zu. Das erste Gespräch in Korntal endete damit, dass mir zu der Aufgabenstellung – entgegen meiner üblichen Erfahrung – absolut nichts einfiel.

Klar war aber allen Beteiligten: Ein „Blick zurück in Zorn und Schmerz“ wäre niemandem zuzumuten. Auch ich wollte durch diese Arbeit bei mir selbst nicht wieder alte Wunden aufreißen. Genauso wenig wollte ich durch meine Arbeit die Lust des Publikums am Skandal, am Schauder und an der Empörung befriedigen, indem ich die Opfer erneut entblöße, exponiere und womöglich auch bei Betroffenen von Korntal und Wilhelmsdorf alte Wunden wieder aufreißen würde.

Immerhin: Man machte mir für die Konzeption eines Kunstwerks keinerlei Vorgaben – weder formal noch inhaltlich. Man ließ mir völlig freie Hand.

Auf der Rückfahrt von Korntal dachte ich mir, dass zu diesem Thema der Blitz einschlagen müsse. Das sich der Himmel verfinstern und eine laute Stimme ertönen müsse. Dass es etwas vom Untergang der Welt haben müsse, dass es schmerzhaft sein und dass es krachen müsse.

Von diesem inneren Bild blieben schließlich die Worte HOFFNUNG, VERTRAUEN und RESPEKT übrig. Diese drei Begriffe empfand ich in diesem Moment tatsächlich wie vom Himmel gefahrene Blitze.

Nachdem von meiner Seite aus klargeworden war, dass die Kunstwerke Schrift-Skulpturen werden würden, kam der Wunsch auf, Zitate aus anonymisierten Gesprächsprotokollen einfließen zu lassen, die Betroffene mit der Aufklärerin Frau Dr. Baums-Stammberger geführt hatten.

Aus der Vielzahl der Zitate, die mir anonymisiert zur Verfügung gestellt wurden, entnahm ich diejenigen Aussagen, in denen die drei positiven Begriffe HOFFNUNG, VERTRAUEN und RESPEKT verneint werden: „MAN HATTE KEIN VERTRAUEN“, „MAN HATTE KEINEN RESPEKT FÜR UNS“, „WIR HATTEN KEINE HOFFNUNG“.

Nur: Mehr als „aufscheinen“ sollte durch diese Verneinung das Problem, die Vergangenheit, nicht. Die drei Skulpturen sollen vielmehr im Heute und im Morgen an das erinnern, von dem jeder – auch jeder Täter – weiß, was in der Zukunft passiert, wenn man sich an etwas vergreift, das einen noch so sehr verlocken mag, an dem man sich aber auf gar keinen Fall vergreifen darf – an der körperlichen oder seelischen Intimität, insbesondere an der der jüngeren Generationen.

Die Tatsache, dass diese drei Begriffe HOFFNUNG, VERTRAUEN und RESPEKT die Basis jeden menschlichen Lebens sind, bringt es mit sich, dass sie im Zentrum aller pädagogischen Bemühungen stehen.

HOFFNUNG ist etwas, das uns mit dem verbindet, was über unsere menschliche Macht hinausgeht, ohne „Glauben“ zu sein. HOFFNUNG steht deshalb ganz klar im Vordergrund und an erster Stelle. HOFFNUNG muss man haben.

VERTRAUEN und RESPEKT sind Leistungen, die wir uns selbst und uns untereinander als Mitmenschen entgegenbringen, oder entgegenbringen sollten. An VERTRAUEN und RESPEKT kann man arbeiten, solange HOFFNUNG besteht.

Meiner Ansicht nach lohnt es sich sehr, diese drei Begriffe viel bewusster und vor allem aktiver in das Zentrum unseres Zusammenseins, unseres Lernens und Arbeitens zu stellen, als das oft dort der Fall ist, wo sie als Selbstverständlichkeit angesehen– und damit missverstanden – wurden. Das ist auch ganz unabhängig von allem Missbrauchsgeschehen.

Vielleicht wäre diese Akzentverschiebung, weg von unseren individuellen Eitelkeiten und Befindlichkeiten, hin zu einer Wertschätzung unserer Umgebung, bereits ein gangbarer Weg, um jede Art von Missbrauch zukünftig zu vermeiden? Ich würde mir dies sehr wünschen.“

4. Der HERSTELLUNGPROZESS der Skulpturen

 

Die drei Skulpturen HOFFNUNG, VERTRAUEN und RESPEKT sind aus Aluminium gegossen und je 3m hoch. Die (verlorenen) Gussmodelle der Skulpturen bestanden aus Styropor (Abb. 01, 02, 03).

Diese Styroporkörper waren von der Metallgießerei in jeweils etliche Tonnen kunstharz­gebundenen Formsandes eingepackt worden (Abb. 04, 05, 06, 07).

Nach Aushärtung der Sandblöcke konnte das flüssige Metall mit ca. 840 Grad eingegossen werden. Dabei verpuffte das Styropor und entwich als Gas durch die Poren der ausgehärteten Sandblöcke (Abb. 08, 09, 10, 11, 12).

Die zurückbleibenden Hohlräume in den Sandblöcken füllten sich mit flüssigem Metall. Dessen Volumen verringert sich beim Abkühlen. Deshalb musste dafür gesorgt sein, dass während des langsamen Herunter­kühlens der Gussstücke immer genügend flüssiges Metall aus den dafür angelegten Speisern nachfließen konnte (Abb. 13).

Ob der Guss gelungen war, ließ sich erst erkennen, nachdem das enorme Werkstück völlig abgekühlt und auf dem gigantischen Rütteltisch geöffnet worden war (Abb. 14, 15, 16, 17, 18, 19).

Die Meister der Gießerei haben es dreimal geschafft: Alles war perfekt gelungen! Zeit­auf­wendige und deshalb teure Nach­arbeiten waren nicht erforderlich. Die Skulpturen konnten sofort verputzt und poliert werden (Abb. 20, 21).

Am Fuße der Skulpturen wurden je vier Gewinde­buchsen aus Edelstahl eingegossen (Abb. 22).

In diesen unaus­löslichen Gewindebuchsen sind vier Edelstahl-Gewinde­stäbe eingedreht, welche in den von der Korntaler Brüdergemeinde und ihrer Diakonie erstellten Beton­funda­menten eingeklebt sind.

5. Der Künstler GERHARD ROESE

Deutscher Bildhauer, Kunsthistoriker und Architektur-Modellbauer, geboren am 14. Februar 1962 in Darmstadt, aufgewachsen in Stuttgart und Worms.

International bekannt wurde er im Zusammenhang mit der Aufklärung des Systems des sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule, von dem er als Schüler von 1975 bis 1982 selbst betroffen ist.

Als Kunstschaffender hat sich Roese vor allem mit seinen Skulpturen, Porträtbüsten und Architekturmodellen in einem eigens entwickelten Metall­guss­verfahren einen Namen gemacht.

Nach dem Abitur 1982 mit Abschluss als Chemisch-Technischer Assistent studierte Roese von 1984 bis 1989 Bildhauerei bei Prof. Hiromi Akiyama an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Von 2001 bis 2003 dann weiterführendes Studium der Kunstgeschichte, klassischen Archäologie, christlichen Archäologie und byzantinischen Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.

Das erste Atelier bestand im ehemaligen Bahnhof von Friedrichstal (Stutensee) bei Karlsruhe. Dort entstanden großformatige Skulpturen aus verschweißten Aluminiumblechen, von denen wegen ihrer teilweise enormen Ausmaße und Gewicht keine erhalten sind. Diese Arbeiten besitzen noch eine formale Nähe zur strengen Formensprache Akiyamas, es liegt ihnen aber bereits ein gegenständ­liches Konzept zu Grunde.

Nach seiner Übersiedelung nach Darmstadt erhielt Roese von 1989 bis 2009 ein Atelier in einem ehemaligen Baracken-Klassenraum an der Georg-Büchner-Schule. Hier schuf er überwiegend Stahl- und Betonguss­skulpturen. Auch sie waren streng in der Formensprache und berichteten mit klaren Flächen und präzisen Linien von zukünftigen Überbleibseln unserer heutigen Zivilisation.

Nach 2004 hat Roese seine bildhauerische Arbeit in Form der von ihm so genannten LAYERSCULPTURE völlig neu erfunden. Hier werden nicht mehr die Gegenstände selbst gezeigt, sondern es werden skulptural ausgeformte Rekon­struk­tions­hinweise – größtenteils als Negative der weg­gelassenen Objekte – gegeben. In diesen Skulpturen entstehen die Objekte erst wieder in der Imagination des Betrachters.

Von 2009 bis 2015 arbeitete Roese im Atelierhaus der Stadt Darmstadt. Von 2016 bis Ende 2018 arbeitete er in einem eigenen, größeren Atelier auf dem ehemaligen SCHENCK-Gelände in Darmstadt. In diesem Arbeitsraum fanden mehrmals im Jahr öffentliche Veranstaltungen statt, bei denen der Künstler den Kontakt und den Austausch mit der Öffentlichkeit suchte.

Mehr Infos unter: www.gerhardroese.de